KI ist kein IT-Projekt
von Janek Nahm & Christian Seeringer

Viele Unternehmen tun sich schwer mit der Integration von KI. Es hapert an Strukturen, Prozessen und Kompetenz. Oft auch an Führung, welche die eigenen Leute befähigt.
Generative KI hat sich in den beiden vergangenen Jahren vom visionären Zukunftsthema zum wichtigen Businessfaktor gemausert. Doch während die Technologie immer leistungsfähiger wird, tun sich viele Unternehmen nach wie vor schwer mit der Umsetzung. Messbare Erfolge? Selten. Das liegt meist nicht an mangelnder Rechenleistung, fehlenden Daten oder unreifen Tools – sondern an starren Strukturen, veralteten Prozessen und fehlenden Kompetenzen. Wer KI strategisch einsetzen will, muss bereit sein, sich organisatorisch neu aufzustellen.
Der Stand der KI-Nutzung variiert branchenübergreifend stark. In manchen Sektoren fehlt eine durchdachte Strategie noch vollständig. Zwar sind erste Vorreiter bereits im Software-as-a-Service-Zeitalter angekommen, wo Dienstleistungen automatisiert und digital erbracht werden. Aber der Großteil der Unternehmen steckt irgendwo auf dem Weg dorthin fest. Ihnen gelingt es noch nicht, KI produktiv und wertschöpfend zu nutzen. Dabei ist die Zeit des unverbindlichen Ausprobierens schon vorbei – entscheidend für die künftige Wettbewerbsfähigkeit ist eine systematische Implementierung.
Der Fokus muss sich von der Technologie wieder stärker auf die Organisation richten. Fünf zentrale Handlungsfelder zeigen, wie der Wandel gelingen kann – und was Unternehmen konkret tun können.
- KI als Prozess verstehen – nicht als Projekt
KI ist kein IT-Projekt mit Startdatum und Abnahmetermin. Wer KI strategisch nutzen will, muss sie als fortlaufenden, dynamischen Prozess begreifen. Als einen Prozess, der sich kontinuierlich weiterentwickelt, Feedback-Schleifen integriert und Raum für Anpassung lässt.
Erster Schritt: klein anfangen. Konkrete, klar umrissene Anwendungsfälle liefern schnell messbare Ergebnisse – und damit Erkenntnisse, auf denen sich aufbauen lässt. Entscheidend ist eine lebendige KI-Roadmap mit Etappenzielen und regelmäßigen Rückkopplungen. Sie sollte sowohl strategische Leitplanken – etwa Fokusbereiche mit besonderem Wertschöpfungspotenzial – als auch operative Meilensteine enthalten: Dateninfrastruktur, Modelltraining, Governance und Qualifizierung der Mitarbeitenden. Damit das gelingt, brauchen Teams flexible Entscheidungswege und die Kompetenz, Verantwortung zu übernehmen. Führungskräfte müssen klare Zuständigkeiten schaffen und gleichzeitig Freiräume für eigenverantwortliches Handeln ermöglichen. Welche Risiken akzeptabel sind und welche nicht – das sollte ebenso klar definiert sein wie die Rollen der beteiligten Teams. So wird KI nicht zur Aufgabe Einzelner, sondern zur gemeinsamen Reise der Organisation.
- Die Business-Ziele fokussieren statt die Technologie
Der Einsatz einer Technologie ist kein Wettbewerbsvorteil, wenn kein klares Ziel dahintersteht. Unternehmen müssen deshalb zu Beginn klären, welche konkreten Probleme KI lösen soll – und welchen Wertbeitrag sie leisten kann.
Die Strategie muss dort ansetzen, wo operative oder strategische Herausforderungen bestehen oder sich neue Chancen auftun. In interdisziplinären Teams – bestehend aus Fachleuten, Technologieverantwortlichen und Führungskräften – lassen sich relevante Einsatz-Szenarien identifizieren
und priorisieren.
Ein Beispiel: Im Kundenservice helfen KI-gestützte Assistenzsysteme dabei, Anfragen zu klassifizieren, passende Antworten vorzuschlagen und kritische Fälle frühzeitig zu erkennen. Das Resultat: schnellere Reaktionszeiten, zufriedenere Kundschaft, geringere Support-Kosten.
Stehen die Szenarien fest, gilt es, sogenannte AI-Coaches zu etablieren. Sie begleiten die Teams beim Rollout, übersetzen technische Möglichkeiten in konkrete Anwendungsfälle und bauen Vertrauen in die neuen Werkzeuge auf. Ihre Rolle ist entscheidend – denn sie machen aus abstrakter Technologie greifbare Realität.
- Die Mitarbeitenden frühzeitig einbinden und befähigen
Deshalb gilt: Wer KI nachhaltig im Unternehmen verankern will, muss die Mitarbeitenden frühzeitig mitnehmen – nicht nur durch Information, sondern durch echte Beteiligung. Nur wer versteht, was KI leisten kann und wo ihre Grenzen liegen, ist bereit, sich darauf einzulassen. Ein partizipativer Ansatz ist zentral. Mitarbeitende sollten aktiv an der Gestaltung KI-gestützter Prozesse mitwirken, um sicherzustellen, dass diese praxisnah, relevant und im Alltag tatsächlich hilfreich sind. Eine solche Einbindung trägt auch zum Verständnis der Technologie bei und lässt sie nicht als Blackbox erscheinen. Unterstützend wirken Formate wie praxisbezogene Trainings, On-the-Job-Coachings und crossfunktionale Lernräume. Gleichzeitig braucht es Führungskräfte, die KI nicht nur begrüßen, sondern vorantreiben. Sie müssen die Technologie verstehen, kritisch reflektieren und verantwortungsvoll steuern können – als kompetente Entscheiderinnen und als empathische Begleiter, die auch Vorbehalte und Sorgen ihrer Mitarbeitenden ernst nehmen und adressieren.
Christian Seeringer und Janek Nahm
»Die Einführung von Technologie scheitert selten an der Technik«
- Pilotprojekte weiterentwickeln und skalieren
Viele Unternehmen starten mit KI in Form von Pilotprojekten. Das ist sinnvoll, aber nur der Anfang. Denn ein einzelner Use-Case bringt wenig, wenn er nicht systematisch weiterentwickelt und skaliert wird. Was es dafür braucht: definierte Prozesse, mit denen erfolgreiche Anwendungen auf andere Bereiche übertragen werden können.
Die Voraussetzung dafür ist eine strukturierte Dokumentation. Best Practices müssen standardisiert und für andere Teams nutzbar gemacht werden – inklusive Lessons Learned, technischen Spezifikationen und konkreten Erfolgskennzahlen.
Erfolgsmessung ist dabei essenziell: Unternehmen sollten regelmäßig prüfen, welche Anwendungen tatsächlich Mehrwert liefern und welche nicht. Nur so lassen sich Ressourcen zielgerichtet einsetzen und die richtigen
Impulse für die Skalierung geben. Zugleich tragen nachweisbare Erfolgsgeschichten dazu bei, die Akzeptanz von KI in der Organisation weiter zu erhöhen.
- Richtlinien sorgen für Transparenz und schaffen Vertrauen
Wer KI in großem Stil nutzen will, braucht Leitplanken – und zwar nicht nur technische, sondern auch ethische. Es bedarf klarer Regeln, wie mit Daten umgegangen wird, wie KI eingesetzt werden darf und wie sich Diskrimi-
nierung durch Algorithmen vermeiden lässt. Ein internes KI-Governance-Team kann hier den Rahmen setzen: Es bewertet Risiken, entwickelt Richtlinien und schafft Transparenz im Umgang mit der Technologie. Vorbild-
lich agierte beispielsweise Telefónica und führte bereits Ende 2023 ein Modell ein, das ethische Prinzipien und Bewertungen zur Zuverlässigkeit verbindlich integriert. Solche Standards sind mehr als Compliance-Pflicht. Sie schaffen Vertrauen – bei Mitarbeitenden, Kundinnen und Partnern. Und sie sorgen dafür, dass KI im Unternehmen nicht nur effektiv, sondern auch verantwortungsvoll zum Einsatz kommt.
KI verändert die Art und Weise, wie wir arbeiten, und wer wir als Organisation sein wollen. Technologie kann schließlich nur so stark wirken wie die Kultur, auf der sie fußt. Wer KI strategisch einsetzen will, braucht Mut zur Veränderung, Lust auf Lernen und eine Führung, die nicht kontrolliert, sondern befähigt. Das ist keine Nebensache. Es ist die eigentliche Voraussetzung für echten Fortschritt.