von Maria Meermeier Juli 19, 2023 Lesezeit: 4 Minuten

Wie feminine Werte digitale Geschäftsmodelle verändern können

Wie könnte eine Tech-Welt aussehen, die feminin konnotierte Werte wie Großzügigkeit, Sorge für Schwächere und mehr Lebensqualität für alle als Prinzipien für sich nutzt?

Als ich letzte Woche vor unserem diffferent Office in Berlin-Kreuzberg stand, habe ich von einem der vielen Promoter:innen auf der Straße mal wieder einen Flyer für ein Delivery-Startup in die Hand gedrückt bekommen – an der nächsten Straßenecke habe ich ihn im orangenen BSR-Mülleimer wieder entsorgt.
Im Jahr 2023 noch einen Delivery-Dienst auf den Markt zu bringen, zeugt für mich von wenig Innovationskraft. Und es zeigt: Wir versuchen zwar, Neues zu schaffen, kreieren stattdessen aber immer mehr vom Gleichen.

Männliche konnotierte Geschäftsmodelle, die immer der gleichen Logik folgen

Die Prinzipien, nach denen solche Geschäftsmodellen aufgebaut werden, sind männlich konnotiert. Es sind meist männlich gelesene Startup-Gründer, denen Mut, Risikofreudigkeit, Durchsetzungsvermögen und auch Rücksichtslosigkeit gegenüber Wettbewerber:innen zugeschrieben werden. Sie nehmen sich bereits etablierte Geschäftsmodelle und versuchen diese noch effizienter zu gestalten und mit noch mehr Power in bereits gesättigte Märkte zu drücken, um dann ein paar Jahre später den erfolgreichen Exit zu machen und selbst in Startups zu investieren, die wieder der gleichen Logik folgen. 

Diese Logik ist in unserem nach Wachstum ausgerichteten Wirtschaftssystem auch erst mal nicht überraschend: Mit dem Ansatz von „Der Stärkste gewinnt“ wurden milliardenschwere Unternehmen aufgebaut, neue Jobs geschaffen und ein neues Level von Convenience für Konsument:innen ermöglicht.
Es sind aber auch Geschäftsmodelle, die darauf fokussiert sind, den Nutzen für einige wenige Privilegierte zu erhöhen, während die Folgen auf Kosten der gesamten Gesellschaft gehen: Soziale Netzwerke, in denen marginalisierte Gruppen unter Social Harassment leiden; die Gig Economy, die zwar neue Arbeitsplätze schafft, aber unter prekären und unsicheren Bedingungen; Nachbarschaften, die sich auflösen, weil nur noch Tourist:innen in Ferienwohnungen für ein Wochenende ein- und ausziehen. 

Was wäre, wenn wir den männlichen Werten, die diesen Geschäftsmodellen zugrunde liegen, ergänzend feminine Werte wie Großzügigkeit, Sorge für Schwächere und mehr Lebensqualität an die Seite stellen würden? 

Dabei stehen männliche und weibliche Werte nicht im Widerspruch, sondern ergänzen sich: Ein neues digitales Geschäftsmodell zum wirtschaftlichen Erfolg zu führen, braucht Durchsetzungsstärke und Risikofreudigkeit. Aber auch eine klare Haltung, aus der heraus überlegt wird, welche Ressourcen wie verwendet werden, welche Communities davon profitieren sollen oder wie eine Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen und Institutionen aussehen kann, in der alle voneinander lernen. 

Feminine Werte eröffnen neue Perspektiven – das hat auch schon Female Leadership bewiesen. Es ist mittlerweile Common Sense, dass eine Führungskraft nicht nur entscheidungsfreudig und visionär sein sollte, sondern auch empathisch und integrierend.  

Die Ausweitung dieses Konzepts auf die Gestaltung von digitalen Geschäftsmodellen ist somit nur die logische Konsequenz. Und es gibt bereits viele Beispiele, die zeigen, welches Potential das Integrieren von femininen Werten in das eigene Business Model hat. 

Großzügigkeit

Digitale Geschäftsmodelle haben den Vorteil von Null-Grenzkosten. Das heißt, mehr Nutzer:innen des eigenen Service verursachen nicht automatisch mehr Kosten. Dies eröffnet das Potential, dass auch die Menschen von den eigenen Angeboten profitieren können, die nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügen – ohne zusätzliche Kosten für das eigene Unternehmen. Was wäre, wenn E-Learning-Plattformen wie Udemy ihren Service diesen Menschen kostenlos anbieten und damit Alleinerziehenden, Student:innen, Arbeitssuchenden oder prekär Beschäftigten neue Bildungschancen eröffnen würden? Ein sozial gestaffeltes Preismodell wäre auch denkbar: Besserverdienenden wird die Möglichkeit gegeben einen höheren Preis zu zahlen, um damit ein günstigeres Angebot für Menschen zu ermöglichen, die nicht über die finanziellen Mittel verfügen. 

Sorge für Schwächere

Das B Corp zertifizierte Startup Sama trainiert Large Language Models (LLMs) für AI-Anwendungen im Auftrag von Tech Firmen wie Google, Microsoft oder NASA mit einem crowdbasierten Ansatz. Sama ist mit der Mission gestartet, ihren Crowd-Arbeiter:innen, vor allem Frauen und junge Menschen im globalen Süden, eine Ausbildung zu ermöglichen, damit sie für sich und ihre Familien sorgen können. In der Pandemie haben sie außerdem dafür gesorgt, dass ihre Mitarbeiter:innen eine sichere Unterkunft, Essen und medizinische Versorgung bekommen. Sama übernimmt damit Verantwortung für Communities, die aus der globalen Wirtschaftsperspektive immer noch benachteiligt sind. Die Beziehung zu ihren Mitarbeiter:innen gestalten sie nicht nur transaktional, sondern sie wollen ihre Lebensbedingungen langfristig verbessern. 

Mehr Lebensqualität für alle

Backmarket.de repariert technische Devices wie Smartphones, Tablets und Laptops, um sie danach wieder in den Nutzungskreislauf zu bringen. Damit ermöglichen sie zum einen den Zugang zu Technologien für eine breitere Gruppe von Menschen. Zum anderen tragen sie dazu bei, dass weniger wertvolle Ressourcen wie seltene Erden genutzt werden müssen, um technische Geräte herzustellen. Unsere Lebensqualität wird in den nächsten Jahren davon abhängen, wie wir mit den Ressourcen, die uns noch zur Verfügung stehen umgehen werden und wer davon profitieren wird. Alles, was dazu beiträgt, die Folgen sozialer Ungleichheit und die Verschwendung von Ressourcen zu verringern, trägt dazu bei, die Lebensqualität für alle zu verbessern. 

Wenn wir feminine Werte in die Tech-Welt integrieren, eröffnen sich neue Perspektiven auf Geschäftsmodelle und Preis-Logiken. Mit den Herausforderungen unserer Zeit können wir nicht mehr weiter machen wie bisher. Diese neuen Perspektiven sind daher kein nice-to-have mehr, sondern ein must-have. Die Tech-Welt kann einen großen Beitrag dazu leisten, wie wir in den kommenden Jahren unsere Gesellschaft gestalten und unsere Ressourcen verteilen.